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22. Juni 2017

Befangenheitsablehnung eines Sachverständigen im Versicherungsprozess

Viel ist zu lesen und zu hören über die Rolle von (medizinischen) Sachverständigen in gerichtlichen Streitigkeiten. Und tatsächlich: Der Ausgang von Rechtstreitigkeiten hängt sehr häufig wesentlich, wenn nicht gar ganz allein davon ab, zu welchem „Urteil“ ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger kommt. Und nicht selten hat man dabei den Eindruck, dass gerichtliche Sachverständige sich nicht darauf beschränken, die ihnen vom Gericht gestellten Fragen zu beantworten, was ihre einzige Aufgabe wäre, sondern dabei auch das Prozessergebnis mehr oder weniger intensiv im Blick haben.

In besonderen Fällen sieht die Zivilprozessordnung (ZPO) die Möglichkeit vor, einen Sachverständigen wegen der „Besorgnis der Befangenheit“ abzulehnen, so jüngst das Oberlandesgericht (OLG) München in einem Beschluss vom 05.05.2017 (25 W 699/17).

In dem Ausgangs-Rechtstreit ging es um Krankentagegeldansprüche des Klägers. Das Landgericht München II hatte eine Universitätsprofessorin zur Sachverständigen bestellt, insb. zu der Frage, ob der Kläger „arbeitsunfähig“ im Sinne der Versicherungsbedingungen war.

Nachdem die Gutachterin dies in einem ersten schriftlichen Gutachten bestätigt hatte, ergaben sich Ergänzungsfragen seitens der beklagten Krankentagegeldversicherung. Die Beantwortung dieser Ergänzungsfragen erfolgte jeweils auf Veranlassung durch das Landgericht im Rahmen zweier schriftlicher Ergänzungsgutachten.

In ihrem zweiten Ergänzungsgutachten ließ sich die Sachverständige zu einer „Schlussbemerkung“ mit folgendem Wortlaut hinreißen:

„Erlauben Sie mir bitte noch die Bemerkung, dass die verzögert eintreffenden und teils redundanten Rückfragen für mich doch z. T. so aussehen, als ob die beklagte Partei versucht, das Verfahren in die Länge zu ziehen.“

Die Beklagte verübelte der Sachverständigen – verständlicherweise – diese Schlussbemerkung und beantragte deren Ablehnung wegen Befangenheitsbesorgnis. Rechtsgrundlage hierfür ist § 406 ZPO.

Das Landgericht München II wies den Antrag zunächst zurück, während das OLG München (auf die sofortige Beschwerde der Beklagtenpartei hin) das Befangenheitsgesuch für begründet erklärte.

Die Bemerkung der Sachverständigen sei „zwar nicht beleidigend oder herabwürdigend, sondern durchaus höflich gefasst und mit einer gewissen Zurückhaltung formuliert“, jedoch würde die Sachverständige mit dieser Bemerkung „die Ebene einer sachlichen Beantwortung der Beweisfragen“ verlassen und „unnötig außerhalb ihres Auftrags das prozessuale Vorgehen der Beklagten“ kritisieren – so das OLG München. Dies könne bei vernünftiger Betrachtung den Eindruck erzeugen, dass die Sachverständige nicht unvoreingenommen sei.

Hinzu kommt nach Auffassung des OLG München auch noch, dass die Schlussbemerkung der Sachverständigen nicht „herausgefordert oder provoziert“ worden wäre durch das Verhalten der Beklagten. Auch wenn die Ergänzungsfragen der Beklagtenpartei für die Sachverständige als Medizinerin und „Nicht-Juristin“ schwer zu verstehen gewesen sein mögen, wären sie prozessual zulässig und sachlich und höflich gehalten, so dass kein Anlass für die Sachverständige bestanden habe, über eine sachliche Auseinandersetzung hinausgehend irgendeine Kritik am prozessualen Verhalten zu verlautbaren.

Die Entscheidung des OLG München ist zu begrüßen (unsere Kanzlei hat in dem gen. Verfahren die beklagte Versicherung vertreten). An einer objektiven, also unvoreingenommenen „Wahrheitsfindung“ müssten nicht zuletzt die Gerichte selbst besonders interessiert sein. Von daher besteht keine Veranlassung dazu, gegenüber Sachverständigen Milde walten zu lassen, die ihre Kompetenz überschreiten und gewissermaßen selbst Einfluss auf das Prozessergebnis nehmen wollen.

Ein anderes Problem ist es, dass sich nicht immer zwischen ausschließlich dem Gericht obliegender Rechtsanwendung einerseits und Tatsachenfeststellung als Aufgabe eines gerichtlich bestellten Sachverständigen andererseits trennscharf unterscheiden lässt.

 

Rechtsanwälte Honsell Niemöller
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